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In letzer Sekunde gerettet

Zu Kriegsende im Jahr 1945: Nazis wollten in den Salzwelten Altaussee gelagerte Kunstschätze zerbomben


Tausende Gemälde, Skulpturen, Juwelen, Goldbarren hatte der große Führer, Adolf Hitler, im Salzbergwerk Altaussee zusammengeraubt aus ganz Europa, einlagern lassen. Dort sollten sie sicher sein vor Bombenangriffen. In den letzten Kriegstagen des April 1945 wollte der fanatische Gauleiter August Eigruber die Schatzkammer im Berg jedoch durch Bombensprengung vernichten. Nichts sollte den Alliierten oder dem verhassten Weltjudentum in die Hände fallen. Eine Handvoll mutiger steirischer Bergmänner verhinderte diese Wahnsinnstat, allerdings aus Angst um ihre Arbeitsplätze.

Sie riskierten ihr Leben und sicherten damit gleichzeitig unwiederbringliche Kunstwerke für die Nachwelt. Bequem im Auto sitzend sind wir unterwegs von Altaussee hinauf zum Eingang der Salzwelten Altaussee. Wir wollen jenes noch bestehende Stollenrevier in Augenschein nehmen, wo die Nazis Europas größten geraubten Kunstschatz eingelagert hatten. Die heute ausgebaute Straße windet sich noch immer steil nach oben und wir bekommen eine ungefähre Vorstellung davon, welche Mühen der Transport in den letzten Kriegsmonaten gemacht haben muss. Als es nur noch unvorstellbares Chaos und Angst vor willkürlichen Erschießungen gab. Die für die Kunsttransporte abgestellten Bergmänner und Kriegsgefangene leisteten bei meterhohem Schnee Unmenschliches, um die kostbare Fracht von Altaussee auf und in den Berg zu bringen.

Dieses Foto ging um die Welt: Die heimischen Retter von Altaussee und zwei der US-Monuments-Men. In der Kiste war nicht Marmor, sondern eine 500-kg-Bombe.
Der Eingang zu den Salzwelten Altaussee.

Es geht zu Fuß knapp einen Kilometer in den Berg hinein, bis wir mit Kurt Thomanek, Geschäftsführer der „Salzwelten Altaussee“, dort Halt machen, wo die ehemalige „Schatzkammer“ war. Noch heute stehen die Originalregale – in einem Zustand, als wäre das Ganze erst gestern hier installiert worden. Eine Videoinstallation zeigt andeutungsweise, was sich während der Kriegsjahre hier im Bergwerk abgespielt haben muss. „Viele Besucher staunen, denn sie wissen nichts davon, dass hier die wertvollsten Gemälde und Skulpturen der Welt gelagert wurden“, erzählt Kurt Thomanek. Diese waren bekanntlich für das geplante Führer-Museum in Linz vorgesehen. Seit Herbst 1943 wurden auf Befehl Adolf Hitlers die wertvollsten Stücke des in ihrer zwölfjährigen Gewaltherrschaft in ganz Europa geraubten Kunstguts in den Salzwelten Altaussee und anderswo im Salzkammergut gelagert. Sie sollten dort vor den Bomben der Alliierten geschützt sein. Ganz besonders im letzten Kriegswinter 1944/45 – das Hitlerregime war am Ende – ließen die Naziführer auch ihre privaten Kunstschätze und Reichtümer für „die Zeit nachher“ im Salzkammergut bunkern. Meist geschah dies unter chaotischsten Umständen, da die Alliierten bereits täglich Österreich bombardierten.

Vieles war noch weiter in den Berg hineingebracht worden, weil Panik aufkam, dass es nicht genügend sicher wäre. In den letzten Kriegsmonaten ging dann daher die Übersicht verloren, was wirklich in den Salzwelten Altaussee gelagert war. Milliardenwerte sind bis heute nicht mehr aufgetaucht. Und so erzählt man sich auch eine bizarre Geschichte: Vermisst wurde auch über Jahre ein Tafelbild des weltberühmten Genter Altars aus dem 15. Jahrhundert, dem wohl wertvollsten Schatz im „Bergungsdepot“ des Dritten Reichs. Beim Abtransport in Altaussee im Juli 1945 war es wohl wirklich versehentlich nicht eingepackt worden


Wertvolles Gemälde als Jausenbrettl?

Seit Jahrzehnten kursiert in Altaussee der Mythos, dass dieses Tafelbild aus dem 15. Jahrhundert lange Zeit im Jausenraum der Bergarbeiter als Tischplatte verwendet worden war. „Salzwelten-Altaussee“-Direktor Kurt Thomanek: „Ein Tafelbild soll tatsächlich lang als Jausenbrettl von den Arbeitern benutzt worden sein. Bis zu welchem Zeitpunkt, lässt sich heute nicht mehr eruieren. Unsere Leute hatten keine Ahnung, dass sie ihren Speck auf einem Weltkulturerbe geschnitten haben.“

Der Genter Altar von Jan van Eyck
Johannes Vermeers „Der Astronom“, Louvre, Paris

Für die Lagerung der Kunstwerke ist die Temperatur von konstanten 8 Graden Celsius im Berg bei einer Luftfeuchtigkeit von 75 Prozent ideal. Entdeckt hatte man diese natürliche Konservierung durch Zufall. In den Salzwelten Altaussee gab es eine Barbara-Kapelle und da sah man, dass sowohl die Statuen als auch die Kränze, die dort Jahr für Jahr bei der Barbara-Feier deponiert wurden praktisch nichts von ihrer Frische verloren hatten. Die Nazis beraubten die Museen und Galerien Europas, aber auch Kunstsammler in ihren privaten Schlössern. Stets gab es einen Vorbehalt – nämlich jenen für den Führer.

Erst wenn das eine oder andere Werk nicht für die Führersammlung interessant war, durften sich andere aus der Nazihierarchie diese Dinge einverleiben. Unter den tausenden Gemälden waren berühmte von Rubens, Rembrandt, Tizian, Bruegel, Tintoretto, Vermeer, Raffael, Goya, die enteigneten jüdischen Sammlungen der Familien Rothschild, die Reichskleinodien, aus Italien geraubte Schätze und, und. Erst im Jahr 1963 wurde das letzte Raubgut, eine Münzsammlung der Familie Rothschild, dieser rückerstattet. Fünf von den Nazis geraubte und nach Altaussee gebrachte Kunstwerke überstrahlten aber alles andere: der weltberühmte Genter Altar, Michelangelos marmorne Madonna von Brügge, Jan Vermeers „Der Künstler in seinem Atelier“ und „Der Astronom“. Panik in den letzten Wochen In den Apriltagen des Jahres 1945 war das Naziregime am Ende, die deutsche Armee war in Auflösung – da traf August Eigruber, der Gauleiter von Oberdonau, eine verbrecherische Entscheidung.

Die Brügger Madonna von Michelangelo
Peter Paul Rubens, Metropolitan Museum, New York
Hans Holbein: „Bildnis eines jungen Mannes“, Washington
Leonardo da Vinci: „Leda mit dem Schwan“, Uffizien, Florenz

Die Kunstschätze dürften unter keinen Umständen in die Hände der Alliierten und des Weltjudentums fallen. Eigruber nahm es auf sich, sie entgegen dem Befehl Hitlers zu vernichten. Die Vorkehrungen dazu waren bereits getroffen. Eigruber hatte bereits am 10. April Bomben verpackt in Kisten mit der Aufschrift „Vorsicht Marmor – nicht stürzen!“ in geheimer Mission in die Salzwelten Altaussee transportieren lassen. Es waren 500 Kilo Bomben, Blindgänger, die von der amerikanischen Luftwaffe stammten. Zünder für die Bomben waren bereits, so hieß es, von Innsbruck aus mit einem eigenen Trupp nach Altaussee unterwegs. Es ging alles drunter und drüber. Doch die Bergleute erfuhren davon und für sie war eines klar: Sie wollten diese Sprengung schon aus dem Grunde nicht, weil damit ihre Existenz und ihre Arbeitsplätze vernichtet worden wären. Die im Berg arbeitenden Kunstexperten wiederum wollten logischerweise auch die Sprengung verhindern. Es waren dann die Bergleute mit Alois Raudaschl an der Spitze, die in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Bomben aus dem Bergwerk hinausfuhren und sie draußen mit Reisig zugedeckt lagerten. Als Gauleiter August Eigruber davon über Telefon erfuhr, befahl er, die Verantwortlichen zu erschießen. Doch es kam aufgrund des allgemeinen Chaos zum Glück nicht mehr dazu.

Praktisch täglich tauchten Offiziere, Generäle, ranghöchste Nazischergen, aber auch Minister und Politiker aus Vasallenländern auf, die sich ins Salzkammergut durchgeschlagen hatten, um sich dort zu verstecken. Viele von ihnen waren mit „schwerem Gepäck“ unterwegs. Sie hatten Juwelen, Schmuck und Gold mit, das sie dann für ihre Zeit nach Kriegsende verwenden wollten. Noch heute spricht man im Salzkammergut davon, dass es da und dort noch immer vergrabene Kostbarkeiten (Goldmünzen, Juwelen usw.) gäbe. Die Flüchtigen mussten viel zurücklassen – das eigneten sich dann Einheimische an, die damit zu Wohlstand kamen, diesen aber über Jahrzehnte hinweg geschickt verborgen hielten. In Altaussee gab es nach dem Krieg nicht wenige Einheimische, die sich mit dem Lorbeerkranz „Ich bin unter den Rettern gewesen“ zu schmücken versuchten. Die wahren Helden dieser Zeit wurden aber bis heute nicht geehrt und es wurde ihnen auch nicht gedankt.


Quelle: Steiermarkmagazin KLIPP, Ausgabe Dezember 2013


Quellen und Literaturverzeichnis:
 

Der Banditenschatz – Ein Dokumentarbericht über Hitlers geheimen Gold- und Waffenschatz
von Julis Mader
Deutscher Militärverlag, 1966

Sprung in die Freiheit
von Albrecht Gaiswinkler
Ried Verlag (Wien, Salzburg), 1947

Glanz im Dunkel – Die Bergung von Kunstschätzen im Salzkammergut am Ende des 2. Weltkrieges
von Katharina Hammer
Burgverein Pflindsberg, Altaussee, 1996

Bomben auf Michelangelo
von Konrad Kramar
Residenz Verlag, 2013

Blutige Spuren – Der zweite Aufstieg der SS
von Pomorin, Junge Biemann, Bordien
Weltkreis-Verlag, 1980

Weltkunstschätze in Gefahr
von Dr. Ing. E. Pöchmüller
Pallas-Verlag, Salzburg, 1948

Sonderauftrag Linz – Die Kunstsammlung Adolf Hitler. Aufbau, Vernichtungsplan, Rettung. Ein Thriller der Kulturgeschichte
von Ernst Kubin
Orac, 1989


Berg der Schätze


So nennt sich ein Buch (Herausgeberin Veronika Hofer), das sich ebenfalls detailliert mit dem Thema der Rettung des Naziraubguts beschäftigt. „Das Buch war nur durch die Zusammenarbeit“, so die Herausgeberin, „mit unterschiedlichen Akteuren möglich geworden.“ Dazu gehört die Grundlagenforschung von Dr. Birgit Schwarz, die als erste umfassend die Fotoalben zur Gemäldegalerie des „Führermuseums“ bearbeitete und die Einladungslisten der Hitler-Sammlung in Altaussee. Diese sind heute in den National Archives in Washington. Weiters war die Arbeit von Katharina Hammer „Glanz im Dunkel“ eine Quelle für das Buch. Mag. Uta Römer stellte für das Buch ihre Kompetenz als langjährige und erfahrene Autorin von Lexikon-Texten zur Verfügung. Auftraggeber für das Buch waren die Salinen Welten mit Dr. Hannes Androsch. Im Folgenden einige Ausschnitte aus dem Buch „Berg der Schätze“.

Das Springer-Werk – Schatzkammer der Kunst


Nur ein paar Meter neben der Barbara-Kapelle liegt das so genannte „Springer-Werk“. Seine Besonderheit sticht dem heutigen Besucher sofort ins Auge: die Kaverne ist mit einem Holzboden und einer Holzdecke ausgeschlagen, es sind regelrechte Räume eingebaut. Das Holz dieser Einbauten macht den Eindruck, als wäre es vor kurzem von den Zimmerleuten hereingebracht worden. Doch alle Einbauten stammen aus dem Jahr 1943: das Holz ist im Bergwerk gut konserviert und ohne Sonnenlicht dunkelt es nicht nach, so wie altes Holz das sonst tut.

Im Springer-Werk (und einigen anderen Kavernen) bauten im Herbst 1943 die Bergleute Lagerräume für die Kunstschätze. Das nötige Holz für die Einbauten zu beschaffen, war nicht leicht in den letzten Kriegsjahren. Aber die Saline galt als kriegswichtiger Betrieb und arbeitete traditionell eng mit der Forstverwaltung zusammen; so wurden 1.200 Festmeter Holz und fünf Kilometer Kabel zur Stromversorgung für die Ausstattung der Räume organisiert. Erleichtert wurde die Ausstattung für den Bergungsort durch die Tatsache, dass es sich um einen „Führerauftrag“ handelte.


Der damalige Direktor der Salinen, Dr. Ing. Emmerich Pöchmüller, schreibt in seinem Bericht über die Kunstgüterbergung: „Der Himmel (die Decke) und die UIme (die Seitenwände) waren, um das Herunterfallen lockerer Gesteinsteile zu vermeiden, abgesichert, nachgeschlagen und mit Brettern verschalt worden. Ein ganzer Wald viereckiger Pfosten stützte den Himmel ab, und von Pfosten zu Pfosten zogen sich horizontale Balken, schmale Gassen freilassend und sich zu Regalen gestaltend, auf denen das Bergungsgut Aufnahme fand. Dort, wo die Unebenheit des Bodens durch gewaltige Verbrüche zu groß war, hatte man richtige Terrassen geschaffen, die durch breite Treppen miteinander verbunden waren. Es war für den Bergmann ein ungewohnter Anblick, in ein bekanntes Werk einzutreten, das zu einem riesigen Saal mit Holzdecke und Holzboden ausgezimmert war … Der Eindruck von der Weite der Räume wurde noch verstärkt, als schließlich die Beleuchtungsfrage gelöst war und die Riesensäle im Lichte der elektrischen Lampen erstrahlten.“
Das Lager im Springer-Werkt ist mit seinen rohen Regalen im Originalzustand erhalten. Auf diesen Fichtenbrettern lagerten die rund 3.500 Gemälde und rund 100 andere Kunstobjekte der Hitler-Sammlung. Mit der Kunst kamen die Experten in den Berg: einer der großen Tische, an dem die Wiener Kunsthistoriker arbeiteten und die großen Bilder auflegten, ist noch heute zu sehen.
 

Die Altausseer Kunstschätze in Gefahr
 

Anfang April 1945 erließ Adolf Hitler einen Befehl, dass die geborgenen Kunstschätze unbedingt zu erhalten seien und im Falle einer „Feindannäherung“ die Zugänge zum Stollen „gelähmt“, also gesprengt werden sollten. Der Gauleiter von Oberdonau (Oberösterreich), August Eigruber, akzeptierte diesen Befehl jedoch nicht, weil er auf dem Standpunkt stand, dass sich die Situation wesentlich geändert habe. Gefangen in seiner nationalsozialistischen Ideologie sah er es als seine Aufgabe zu verhindern, dass die Kunstgüter den Befreiungsmächten oder im Nazijargon dem „Weltjudentum“ in die Hände fiel. Eigruber beschloss, die Kunst gegen diesen ausdrücklichen Befehl Hitlers vernichten zu lassen. Am 10. und am 13. April 1945 ließ er acht Fliegerbomben in den Altausseer Salzberg transportieren. Sie waren in Kisten verpackt und getarnt mit der Aufschrift „Vorsicht Marmor, nicht stürzen!“


Der Krieg näherte sich seinem Ende, die Kapitulation der deutschen Wehrmacht stand kurz bevor. Im Raum Aussee wurde noch versucht, über Radio Widerstandsparolen durchzugeben. Auch wenn die „Alpenfestung“ noch beschworen wurde, war allen klar, dass die Zeit der Nationalsozialisten vorbei war. Man orientierte sich bereits an den persönlichen Hoffnungen, Befürchtungen und Plänen für die Zeit nach dem Krieg.


Salinen-Direktor Pöchmüller wusste von Eigrubers Zerstörungsplan und setzte jetzt alles daran, ihn zu vereiteln. Am 17. April spricht er in Linz bei Gauleiter Eigruber vor und versucht ihn durch eine List von seinem Vorhaben abzubringen: Er behauptet ihm gegenüber, dass die Sprengkraft der acht 500-Kilo-Bomben nicht ausreichen würde für die Vernichtung. Pöchmüller fasst rückblickend das Gespräch zusammen: „Ob Gauleiter Eigruber sich an die großen Felssprengungen im Jahre 1917 an der Italienfront nicht erinnert, bei denen die Mineure in wochenlanger Arbeit erst die Stollen verdämmen mussten, bevor gesprengt werden konnte. Da zum Verdämmen keine Zeit mehr bleibe, schlägt er vor, die Eingänge zuzusprengen, die Bomben sollten durch Kabel ferngezündet werden.“ Eigruber ist einverstanden und Pöchmüller interpretiert die Entscheidung als Legitimation zu eigenem Handeln. Eigruber ahnte nicht, dass Pöchmüller nie vorhatte, die Kunstschätze zu vernichten. Gleich darauf begannen die Vorbereitungen für die Zugangssprengungen.


Am 22. April trifft nochmals ein Telegramm Hitlers ein, das die Vernichtung der Kunstwerke verbietet, die  Lähmung der Zugänge aber erlaubt. Pöchmüller will dieses Telegramm zum Anlass nehmen, die Bomben aus dem Bergwerk entfernen zu lassen. Doch wiederum erkennt Gauleiter Eigruber das Telegramm nicht an, weil es nicht von Hitler selbst, sondern von Bormann, Hitlers Sekretär, gezeichnet war. Die Bomben mussten im Berg bleiben, die Wache am Salzberg wurde durch sechs Panzersoldaten verstärkt. Da Direktor Pöchmüller auf Nummer sicher gehen wollte, beginnen am 23. April Verlagerungen der wertvollsten Gemälde innerhalb des Salzbergwerks, in Räume, die weiter im Berginneren lagen.